Öffentliche Bauten in Katalonien zwischen 1888 und 1929

Bad Wiesseer Tagung des Collegium Carolinum e.V. (Bauen für die Nation), November 1996

Vortrag von Andrea Mesecke

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Katalonien ist eine seit 1979 autonom verwaltete Region Spaniens, deren historische Entwicklung die katalanische Bevölkerung wiederholt dazu bewog, sich selbst als eigenständige Nation zu bezeichnen.(1) Seine Blütezeit erlebte der katalanische Nationalismus während der spanischen Restauration, politisch und gesellschaftlich eine hochbrisante Epoche, die zwischen der gescheiterten Ersten Spanischen Republik 1872/73 und dem Beginn der Zweiten Republik 1931 anzusiedeln ist.

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Für die Frage nach dem nationalen Baustil in diesem Zeitraum sind insbesondere diejenigen Faktoren relevant, die im Zusammenhang mit der Industrialisierung der Region stehen und zur verstärkten Selbstdarstellung des aufstrebenden Bürgertums führten. Diese Feststellung läßt bereits erahnen, daß es sich bei der katalanischen Architektur des späten 19. Jahrhunderts um eine Variante der europäischen Baukunst handeln könnte - womöglich vergleichbar mit der katalanischen Romanik im Verhältnis zu anderen europäischen Stiläußerungen des frühen Mittelalters.

 Triumphbogen, 1888, Barcelona 1 - Josep Vilaseca i Casanovas, Triumphbogen, 1888, Barcelona. Collection: A. D. White Architectural Photographs, Cornell University Library Accession Number: 15/5/3090.01615 (Foto: M. and Lévy, J. Léon). CC 2.0 Generic Cornell University Library

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Indes wird in der einheimischen Kunstgeschichtsschreibung vehement bestritten, daß die Architektur des "fin de siècle" sich auf die katalanische Abwandlung des "art nouveau" beschränke, und in der Tat geht es um eine komplexe kulturelle Erscheinung, die in einer eigenständigen nationalen Architektur ihren Ausdruck fand. Diese nationale Architektur Kataloniens, genannt "modernisme", beschränkt sich jedoch weitgehend auf den Wohnungsbau, der bürgerliche Paläste und Villen ebenso wie Einfamilienhäuser und Mietshäuser einschließt, dem aber aufgrund seines privaten Charakters nicht die Bedeutung öffentlicher Bauten zukommt. Auch weist die katalanische Architektur nicht die Charakteristika eines Nationalstils auf, sie ist vielmehr subjektiv, dazu bodenständig und allgemeinverständlich - zumindest für Einheimische, deren kulturelle Basis die Lesbarkeit signifikanter Strukturen und Bilder an den jeweiligen Bauwerken erst gewährleistet. Gleichwohl fehlt es nicht an architekturtheoretischen Leitgedanken, und diese - gegen die Doktrin der Akademie gerichteten - Prämissen sind es letztlich, die katalanische Architektur konzeptionell vergleichbar machen. Somit läßt sich die in erster Linie nationalistisch motivierte Baukunst trotz ihrer Vielfalt und Widersprüchlickeit in einen europäischen Kontext einfügen, zu einem Zeitpunkt nämlich, als die Entwicklung des bürgerlichen Wohnungsbaus entschieden vorangetrieben wurde.(2)

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Dem besonderen Gewicht, das der katalanischen Wohnhausarchitektur vor allem in der Industriemetropole Barcelona zukommt, ist es vermutlich zuzuschreiben, daß den öffentlichen Bauten in der katalanischen Hauptstadt bislang nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Angesichts ihrer "konventionelleren" Gestalt erscheinen letztere als zu vernachlässigende konservative Äußerungen weniger katalanischer Architekten, denen indessen trotz ihrer augenscheinlichen Absage an den katalanischen Modernisme keine antinationalistische Haltung nachgesagt werden kann. Hier zeichnet sich ab, daß katalanische Monumentalbauten in geringerem Maße das nationale Selbstverständnis der Katalanen zum Ausdruck bringen, als man es von repräsentativen öffentlichen Bauten in einem derart nationalistisch geprägten Umfeld zunächst erwarten würde. Warum dies so ist, soll im folgenden Versuch dargelegt werden. Kleinere Exkurse in die populäre katalanische Nationalarchitektur werden dabei zum besseren Verständnis des eigentlichen Gegenstandes beitragen.(3)

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Zur Betrachtung konkreter Beispiele in der katalanischen Architektur bedarf es zunächst einer Erläuterung der nationalistischen Motivation in der katalanischen Bevölkerung. Im folgenden soll in aller Kürze auf die politischen, wirtschaftlichen und geistigen Voraussetzungen der Unabhängigkeitsbewegung eingegangen werden, ohne daß jedoch - um den Gegenstand zu verkürzen - eine differenzierte Unterscheidung zwischen radikalem Separatismus und moderaten Autonomiebestrebungen vorgenommen wird.(4)

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Die politische, wirtschaftliche und kulturelle Bedeutung Spaniens innerhalb Europas ist im 19. Jahrhundert marginal. Die Gesellschaft ist noch immer feudal strukturiert und wird von Madrid aus zentral regiert; die bürgerliche Revolution kommt nur ansatzweise in den Erbfolgekriegen, den sogenannten Carlistenkriegen, zum Ausbruch. Liberale und konservative Verfassungen wechseln sich ab. Klerus und Aristokratie, in beiden Fällen identisch mit Großgrundbesitz, erweisen sich als Feinde des Fortschritts.(5) So findet auch die industrielle Revolution keinen Nährboden außer in der nordöstlichen Region Katalonien, wo sie von der bürgerlichen Gesellschaft ab dem zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts energisch vorangetrieben wird und im letzten Drittel zu einem Wirtschaftsboom führt. Katalonien erfährt eine gesellschaftliche Umstrukturierung, die das übrige Land nicht oder nur unwesentlich tangiert. Industriebedingter Wohlstand, Fortschrittsdenken und internationaler Austausch verlangen nach Reformen und politischer Handlungsfreiheit, denn die reaktionäre Zentralregierung behindert die technische und soziale Entwicklung der Region. Statt dessen bedient sich der spanische Staat nach politischen Niederlagen (wie anläßlich des Verlusts der Überseekolonien 1898) einseitig katalanischer Mittel zur Sanierung des Staatshaushaltes und trägt damit zusätzlich zum Widerstand in der Bevölkerung bei.

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Es gibt nun mehrere Anlässe, die vor diesem Hintergrund zur katalanischen Nationalismusbewegung führten; nicht zuletzt brachte der romantische Mittelalterkult zu Beginn des 19. Jahrhunderts in das Bewußtsein der Bevölkerung bzw. der geistigen Elite, daß Katalonien auf eine eigene Geschichte und Kultur zurückblicken konnte. Nach über hundert Jahren rief man die gesetzlich verbotene, inzwischen etwas verkrustete Sprache wieder ins Leben zurück, förderte in Vergessenheit geratene Traditionen und betrieb Geschichtsforschung und -aufklärung, wenn dies auch zur gelegentlichen Verklärung führte. Tatsache ist jedoch, daß Katalonien vor dem Entstehen des spanischen Nationalstaates 1479 durch Heirat der Katholischen Könige, Ferdinand II. von Aragon und Isabella I. von Kastilien, als Prinzipat selbständig - zuletzt im Verbund mit dem Königreich Aragon - existiert und eine wohlhabende, Handel treibende bürgerliche Gesellschaft besessen hatte. Dieses Prinzipat schloß im Norden das Roussillon mit ein, reichte im Süden bis Valencia, umfaßte die Balearen und - unter der Flagge Aragons - Enklaven auf Sardinien, Sizilien und in Neapel. Die katalanische Sprache hat in all diesen Gebieten bis heute überlebt bzw. ist in die Dialekte der italienischen Territorien eingeflossen, obschon das katalanische Brauchtum einschließlich Sprache im Jahr 1716 durch königlichen Erlaß unter Strafe und so der vorübergehenden Vergessenheit anheim gestellt worden war.

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Daß es nun im 19. Jahrhundert erheblicher Kampagnen bedurfte, um die Mehrheit der katalanischen Bevölkerung von der nationalen Idee zu überzeugen und für den Freiheitskampf einzuspannen, liegt auf der Hand. Man griff sogar, und das voller Inbrunst, auf rassistische Beweisführungen zurück - wie sie damals dank sogenannter wissenschaftlicher Erkenntnisse weit verbreitet waren -, um die Nation im romantisch-konservativen Sinne als organische Wesenheit, nicht etwa als rationale Struktur zu erklären und sie gegen das "maurisch unterwanderte" kastilische Spanien abzugrenzen.(6) Diese rassistische Argumentation wurde unter Vernachlässigung verschiedener "Ungereimtheiten" auch auf die Baukunst übertragen. Überzeugen konnten letztendlich allein wirtschaftliche Argumente: diesen vermochten Großindustrielle und kleinere Unternehmer in Barcelona ebenso wie Grundbesitzer aus dem katalanischen Hinterland zu folgen.

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Die Arbeiterschaft ließ sich charakteristischerweise nie in den Bann des katalanischen Nationalismus ziehen, zum einen, weil es sich bei ihnen häufig um zugereiste Spanier handelte, zum anderen, weil diese unterprivilegierte Gesellschaftsschicht anderen Idealen nachstrebte. Katalonien mit der Industriemetropole und Hauptstadt Barcelona entwickelte sich bereits in den 1890er Jahren zu einer Hochburg des Arbeiterprotestes, in der Anarchisten, Kommunisten und Sozialisten miteinander konkurrierten. Die internationalistische Kultur der Linken, und mit ihr die Architektur des modernen Rationalismus, bekam infolge repressiver Politik erst in der Zweiten Spanischen Republik während der 1930er Jahre eine Chance; gegenüber Mitteleuropa um ein Jahrzehnt verspätet, weil die 20er Jahre in Spanien von der Militärdiktatur Miguel Primo de Riveras geprägt wurden. Ein vereinzeltes Projekt der Linken für ein Gewerkschaftshaus im Jahr 1904 entsprang kleinbürgerlichem Denken und entbehrte als pseudoklassizistische Variante des spanischen Kolonialstils jedweder progressiv-innovativer Ambition.(7)

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Die nationale Frage blieb immer eine Frage des Bürgertums, und das einflußreichste Lager innerhalb der nationalistischen Bewegung war immer konservativ. Diese Tatsache ist von eminenter Bedeutung für die Entwicklung in der Baukunst. Denn auch die Intellektuellen, die Dichter und Denker, Künstler und Architekten waren konservativ. Der so viel beschworene katalanische Progressismus in der Architektur richtete sich auf technischen bzw. ästhetischen Fortschritt und auf ökonomische Rationalisierung. In sozialen Fragen schlug bei den Intellektuellen, und bestenfalls auch bei den politisch Verantwortlichen, ein eher fürsorglich-paternalistisches Herz im Sinne der katholischen Soziallehre. Demzufolge entsprang die Erneuerung in der katalanischen Architektur nicht einer etwa sozialistisch begründeten Notwendigkeit, sondern allein dem Bedürfnis des Industriebürgertums, sich als mächtige neue Wirtschaftselite darzustellen. Angesichts der politischen Einbindung Kataloniens in den zentralistisch geführten spanischen Staatsverband mußten sich die Möglichkeiten der Selbstdarstellung jedoch zwangsläufig auf die bürgerliche Privatarchitektur, also vorwiegend auf den Wohnungsbau beschränken, der im Zusammenhang mit der großangelegten Stadterweiterung von Barcelona in erster Linie städtischer Geschoßwohnungsbau war. Hier kam es zu der spezifisch katalanischen "Stilschöpfung", die sich - für den deutschen Sprachgebrauch mißverständlich - Modernisme nennt und mit Einschränkung (insbesondere die gesellschaftsreformerische Motivation betreffend) jenen Avantgarde-Tendenzen Mitteleuropas entspricht, die sich seit der englischen Arts-and-Crafts-Bewegung entwickelten. Der Modernisme dominierte Barcelonas Architektur bald in einer Form, daß durch ihn der Charakter des Stadtbildes entscheidend mitgeprägt wurde. Ausländische Beobachter konstatierten diese Begebenheit auf dem 1904 in Madrid stattfindenden Internationalen Architektenkongreß und stellten fernerhin innovative Tendenzen fest.(8) Indes beurteilte man die katalanische Entwicklung im europäischen Zusammenhang mit Blick auf die zu überwindende Krise in der Architektur, die nicht zuletzt eine Krise der Akademie war, und erkannte keineswegs eine katalanische Nationalarchitektur.

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Repräsentative öffentliche Gebäude wurden in Madrid errichtet oder von Madrider Behörden in Auftrag gegeben und konnten damit nicht der katalanischen Identitätsstiftung dienen. Maßgebend war in diesen Fällen die klassizistisch-eklektizistisch orientierte Akademie in der Regierungshauptstadt, deren konservative Richtlinien sich in der ästhetischen, teilweise auch in der technisch-konstruktiven Ausführung der Bauaufgaben niederschlugen. Bis 1875, als der neuen Architekturschule in Barcelona Universitätsstatus zuerkannt wurde, mußten katalanische Architekten überdies ihre Abschlußprüfung in Madrid ablegen, was gewissermaßen die Einhaltung akademischer Kriterien gewährleistete. Gleichwohl setzte mit der Eigenständigkeit der Architekturlehre in Barcelona die Rebellion gegen die Akademie ein, was sich bald an den Fassaden der Privatarchitektur manifestierte.

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Indes läßt sich das Katalanische in der Architektur Kataloniens nicht an einem Formenkanon oder rigiden Kompositionsschema festmachen - auch wenn in vielen Fällen beispielsweise die typologische Grundstruktur des spätgotischen Stadtpalastes aufgegriffen wurde. Vielmehr äußert sich das Katalanische erstens in der Idee des industriellen Fortschritts, das heißt in der Anwendung neuer Konstruktionsmethoden wie dem Eisen- bzw. Stahlskelettbau, zweitens in der romantisierenden Wiederaufnahme traditioneller handwerklicher Verfahren, angefangen vom Gewölbebau bis zur dekorativen Sgraffitotechnik, drittens in der Verweigerung jedweder akademischer Regeln, die infolge der Besinnung auf die sogenannte konstruktive und materielle Wahrheit im Sinne des konstruktiven Rationalismus Viollet-le-Ducs (den man gern als konstruktiven Naturalismus bezeichnete) ersetzt wurden(9), und viertens durch den programmatischen Verweis auf die Unabhängigkeit Kataloniens im Mittelalter mit Hilfe von Stilzitaten, bildlichen Darstellungen u.ä. Einzelnen Architekten ging es nicht darum, einen Stil - beispielsweise die Gotik - wiederzubeleben, sondern darum, die Erinnerung an die Vergangenheit, an ein konstruktives Prinzip und an ein gesellschaftliches Ideal, wachzurufen. Verknüpft mit den Zeichen des Fortschritts, Wissenschaft und Technik, und auch unter Anlehnung an ausländische Bewegungen entstanden in der Synthese neue Formen mit neuen Inhalten, die auf traditionelle Formen und Inhalte lediglich verweisen wollten, um so den fortschreitenden Wandel der Werte aufzuzeigen.

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Angesichts dieser Verflechtung ist es schwierig zu entscheiden, ob die Suche nach nationalspezifischen Ausdrucksformen die Entwicklung zur Moderne begünstigte oder umgekehrt. Vieles spricht für die Annahme, daß die architektonische Erneuerung ein erklärtes Ziel war, dem näherzukommen die mittelalterliche Vergangenheit Kataloniens insofern begünstigte, als die Gotik im 19. Jahrhundert als "konstruktiver" Stil erkannt worden war. Wäre Kataloniens Blütezeit in die Epoche des Barock gefallen, hätte es über den Weg einer nationalspezifischen Architektur womöglich keine Erneuerung gegeben. Indes ist der katalanische Modernisme vor allem auf einer ideellen Ebene nationale Baukunst, die erst unter bestimmten Voraussetzungen für Eingeweihte als solche verständlich wird und keinesfalls einen einheitlichen Baustil erkennen läßt. Architektonisch bedeutet dies: Das Vokabular der Vergangenheit wurde angesichts der positiven Einstellung zur Tradition zwar nicht überwunden, wohl aber die Stilarchitektur im akademischen Sinne. In vielen Fällen ergab sich dadurch Raum für innovative Lösungen, was sich schon zu Beginn der katalanischen Renaissance, deren Anstrengungen in der ersten Weltausstellung 1888 mündeten, manifestierte - eine der wenigen Gelegenheiten, bei denen sogenannte Monumentalbauten in den Dienst der katalanischen Selbstfindung gestellt werden konnten.(10)

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Nicht nur aufgrund seiner repräsentativen Funktion als Eingangsmonument ragt der Triumphbogen von Josep Vilaseca i Casanovas (1848-1910) aus den übrigen Ausstellungsbauten heraus. (Abb. 1) Vilaseca, dessen eigenes Werk weitgehend von der eklektizistischen Methode geprägt ist, gab der katalanischen Architekturentwicklung durch Einbringung ägyptischer, japanischer und anderer Exotismen spannungsreiche Impulse.(11) In einer Zeit, als der Gebrauch des unverputzten Backsteins in Verbindung mit dekorativen Azulejos einem europäischem Interesse für Polychromie und dekorative Möglichkeiten aus der Konstruktion heraus entsprach, interpretierte er den klassischen Triumphbogen antiklassisch. Gänzlich in sichtbarer Ziegelbauweise errichtet und mit struktureller Backsteinornamentik wie farbigen Keramikbändern versehen, widerspricht das Bauwerk indes nicht nur akademischen Repräsentationsvorstellungen, sondern stellt darüber hinaus durch den Rückgriff auf den Mudéjarstil einen Bezug zur Zentralmacht Spanien her. Als deutliches Zeichen der Erneuerung ist dabei auch der dynamische Kontrast zwischen Horizontalität und Vertikalität zu sehen, den Vilaseca mittels Wandstruktur und acht flankierenden oktogonalen Türmchen herstellte. Daß mit dem Monument insbesondere die Architektur des vormals aragonesischen Königreichs, in das Katalonien während seiner Blütezeit integriert war, in Erinnerung gerufen werden sollte(12), läßt sich jedoch kaum nachvollziehen. Im Gegenteil weisen verschiedene versöhnliche Elemente auf eine bewußte Herausstellung des Spanischen an dieser internationalen Veranstaltung im Jahre 1888. Der Bogen wird von den Wappen spanischer Provinzen gerahmt, die gerippten Säulenhauben mit glasierter Keramik und aufgesetzten Kronen sind Reminiszenzen der islamischen Blütezeit in Spanien, die Reliefdarstellung auf dem Fries beinhaltet zum einen die Beteiligung der spanischen Hauptstadt Madrid an der Barceloniner Ausstellung und stellt zum anderen den Dank der Stadt an die beteiligten Nationen dar.(13)

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Trotz dieser kuriosen, auf Gesamtspanien bezogenen Programmatik gilt der Triumphbogen als einer der Initialbauten der spezifisch katalanischen Architektur des Modernisme. Erklärbar ist dies lediglich mit Verweis auf die oben genannten Kriterien des Fortschritts wie Antiakademismus, konstruktive und materielle Wahrheit, mittelalterliche Handwerkstechniken, Polychromie usw., die von der katalanischen Bevölkerung unter dem Eindruck nationalistischer Propaganda verstanden wurden. Was die objektive Lesbarkeit des nationalen Elements in der Architektur anbetrifft, genügt in diesem Zusammenhang der Hinweis, daß - wenn auch in geringer Zahl - ebenso in dem industriell unterentwickelten Madrid die Wiederaufnahme des Neu-Mudéjarstils in Verbindung mit der traditionellen Backsteintechnik betrieben wurde, und zwar seit etwa 1860. An der Ziegelbauweise konnte sich auch dort die Abwendung vom Historismus vollziehen, obwohl es in der Hauptstadt weniger theoretische als ökonomische Überlegungen waren, die die Loslösung vom akademisch-eklektizistischen Vokabular bewirkten zugunsten einer klaren, nüchternen Formensprache, deren Plastizität oft nur im figurativen Mauerverband bestand.

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Die Erneuerung der Architektur im europäischen Zusammenhang betreffend wird gern das von Lluís Domènech i Montaner (1850-1923) gleichsam für die Barceloniner Weltausstellung 1888 erbaute Café-Restaurant (heute Zoologisches Museum) (Abb. 2) in die Nähe der Amsterdamer Börse (1898-1903) von H.P. Berlage gerückt und dieserart eine katalanische Überlegenheit gegenüber der spanisch-kastilischen Architekturentwicklung hervorgehoben. Die Behauptung, das Café-Restaurant sei in konstruktiver und ästhetischer Hinsicht angesichts seiner früheren Entstehungszeit selbst der Amsterdamer Börse überlegen, kann und soll hier nicht überprüft werden.(14) Indessen stellt sich auch in diesem Fall die Frage, inwieweit das in der literarischen Rezeption als einer der Schlüsselbauten für den beginnenden Modernisme und folglich als höchst katalanisch empfundene Bauwerk tatsächlich objektiv nachvollziehbare Kriterien einer nationalspezifischen Architektur erfüllt - die Nichtexistenz eines Nationalstils wurde eingangs schon hervorgehoben.

 Café-Restaurant, 1888, Barcelona 2 - Lluís Domènech i Montaner, Café-Restaurant (Castell dels Tres Dragons), 1888, Barcelona. Selbymay, CC BY-SA 3.0

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Vilaseca vergleichbar rekurrierte Domènech die unverputzte Ziegelbauweise mit ihren strukturellen Möglichkeiten sowie polychrome Keramik für punktuelle Ornamentik. Anders als beim Triumphbogen werden jedoch im Café-Restaurant modernste Konstruktionstechniken anschaulich, nicht nur materiell durch das teilweise unverkleidete Eisenskelett im Innenbereich, sondern vor allem durch die bemerkenswerte Kongruenz zwischen innerem Aufbau und äußerer Erscheinung.

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Innovativ ist gleichermaßen der flächige Charakter der zurückhaltend ornamentierten Vorhangfassade - Puig i Cadafalchs historischen Untersuchungen zufolge nicht etwa nur ein modernes Charakteristikum, sondern zugleich traditionelles Merkmal katalanischer Architektur. Desweiteren griff Domènech auf typische Materialien und mittelalterliche Handwerkstechniken zurück, deren Erinnerungscharakter er durch Zitate oder typologische Verweise auf die katalanische Spätgotik und den Mudéjarstil verstärkte. Die Feststellung, daß es sich auch in diesem Fall um eine Anspielung auf das aragonesische Königreich handeln soll, die in der gestalterischen Anlehnung an die Valencianische Börse (1483-1498) gipfele, einem "der Hauptwerke des mittelalterlichen Profanbaus und Symbol der katalanisch-aragonesischen Handelsmacht"(15), erweist sich als irreführend. Tatsächlich wird der aragonesische Anteil an der katalanischen Blütezeit in der katalanischen Geschichtsschreibung des 19. und 20. Jahrhunderts beharrlich verdrängt und folglich die spätgotische Börse in Valencia allein der katalanischen Baukunst zugerechnet.

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Desgleichen steht fest, daß der Mudéjarstil in Katalonien nur unwesentliche, in Aragon hingegen starke Spuren hinterließ, was denselben Domènech i Montaner veranlaßte, in seinem architektonischen Manifest "Auf der Suche nach einer nationalen Architektur" (1878) deutlich zwischen katalanischer und kastilischer - einschließlich aragonesischer - Baukunst zu unterscheiden: die Gotik betrachtete er als das architektonische Erbe Kataloniens, den Mudéjarstil als Nachlaß Kastiliens. Trotzdem spielte Domènech i Montaner auf den Mudéjarstil an. Damit drängt sich die Schlußfolgerung auf, daß das Café-Restaurant - wie der Triumphbogen - katalanische Nationalarchitektur weniger durch plakative Verweise repräsentiert als durch eine progressive, innovationsfreudige Haltung, die zwar in bezug auf Spanien katalanisch ist, in erster Linie aber eine Entwicklungsstufe in der europäischen Industrialisierungsphase kennzeichnet. Zudem war Domènechs Aufforderung zu einer nationalen Architektur, auch wenn dies in der Literatur verkannt wird, in Wahrheit eine Aufforderung zu einer internationalen Architektur, bei der es nur vordergründig um stilistische Fragen ging, im wesentlichen aber um Konzeption, Komposition, Konstruktion und Technik - architektonische Kriterien, die auf einen internationalen Universalstil in unbestimmter Zukunft abzielten.(16) Auf dem Weg dorthin erfüllte der Mudéjarstil für Domènech i Montaner und viele seiner Kollegen denselben Zweck wie die lombardische Romanik für Berlage.

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Unterdessen erschwerten äußere Bedingungen bis kurz nach der Jahrhundertwende die demonstrative künstlerische Selbstdarstellung Kataloniens an monumentalen öffentlichen Bauwerken, wie sich dies am Werk des Architekten Josep Domènech Estapá (1858-1917) beispielhaft überprüfen läßt. Domènech Estapá wird gemeinhin als Eklektizist und Gegner des Modernisme bezeichnet, der sich nicht völlig dem Einfluß der nationalen (modernistisch-naturalistischen) Architektur habe entziehen können.(17) Der Großteil seiner Bauten entstand im öffentlichen und zumeist staatlichen Auftrag und zeigte sich lange vor der zweiten katalanischen Bewegung, dem Noucentisme, klassizistisch-rationalistisch - wobei Domènech Estapá sich vor allem strukturell an die Prinzipien der Akademie hielt, während er in seinen stilistischen Anspielungen eher autochthon war. Gleichwohl mangelt es allen seinen Bauten an Innovationskraft.

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Zu einem sehr frühen Zeitpunkt errichtete Domènech Estapá das Gefängnis Modelo (1881-1904; mit Salvador Vinyals i Sabaté), bestehend aus einem kreuzförmigen Baukörper, einem separaten Gefangenentrakt und einem Verwaltungsbau. (Abb. 3)

 Gefängnis Modelo, 1881-1904, Barcelona 3 - Josep Domènech Estapá und Salvador Vinyals i Sabaté, Gefängnis Modelo, 1881-1904, Barcelona. JosepBC, CC BY-SA 4.0

Alle Gebäude zeichnen sich durch ablesbaren Funktionalismus aus und präsentieren sich mit schmucklosen, konventionell hierarchisch strukturierten Fassaden. Von einem gemäßigten Eklektizismus mag man auch bei der Akademie der Wissenschaften (1883) (Abb. 4) und dem Hospital Cliníc mit der Medizinfakultät (1904) (Abb. 5+6) sprechen, die den tradierten Typologien jeweils Rechnung tragen.

 Akademie der Wissenschaften, 1883, Barcelona  Hospital Cliníc, 1904, Barcelona  Fakultät für Medizin, 1904, Barcelona 4 - Domènech Estapá, Akademie der Wissenschaften, 1883, Barcelona. Foto der Autorin / 5 - Domènech Estapá, Hospital Cliníc, 1904, Barcelona. Foto der Autorin / 6 - Domènech Estapá, Fakultät für Medizin, 1904, Barcelona. Zarateman, CC0 1.0 Universal Public Domain Dedication

Der Justizpalast (1887-1908; mit Enric Sagnier i Villavecchia), zwar groß in seinen Ausmaßen, aber keinesfalls von monumentalen Proportionen, bildet mit seinem langstreckten, durch einen zurückversetzten Eingangstrakt gebrochenen Baukörper geradezu einen Gegenentwurf zu den bombastischen bürgerlichen Gerichtsgebäuden des 19. Jahrhunderts - trotz seiner acht imposanten Ecktürme und trotz der akademisch barockisierenden äußeren Struktur. (Abb. 7) In Anbetracht der komplexen Innenausstattung, in der an prominenter Stelle das konstruktive Material Eisen sichtbar eingesetzt und sämtliche handwerklichen Künste im Sinne eines Gesamtkunstwerkes vereint wurden, ist an diesem Bauwerk sogar eine gewisse Zugehörigkeit zum Modernisme zu vermerken.(18)

 Justizpalast, 1887-1908, Barcelona 7 - Domènech Estapá und Enric Sagnier i Villavecchia, Justizpalast, 1887-1908, Barcelona. Foto der Autorin

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Daß Domènech Estapá bei dem Verwaltungsgebäude der Katalanischen Gas- und Elektrizitätsgesellschaft (1893-95) (Abb. 8) die Fassadenkomposition einheimischer spätgotischer Paläste aufgriff, die im historischen Zentrum Barcelonas zu finden sind, kennzeichnet ihn zweifelsfrei als katalanischen Nationalisten. Zahlreiche der modernistischen Wohnhäuser sind durch diesen typischen Fassadenaufbau charakterisiert. (Abb. 9+10)

 Katalanische Gas- und Elektrizitätsgesellschaft, 1893-95, Barcelona  Casa Macaya, 1899-1901, Barcelona  Aufstockung der Casa Thomas, 1912, Barcelona 8 - Domènech Estapá, Verwaltung der Katalanischen Gas- und Elektrizitätsgesellschaft, 1893-95, Barcelona. Foto der Autorin / 9 - Josep Puig i Cadafalch, Casa Macaya, 1899-1901. Nachlass Puig i Cadafalch, Barcelona / 10 - Francesc Guardia i Vidal, Aufstockung der Casa Thomas, 1912, Barcelona (Erdgeschoss u. 1.OG erb. 1895-98 v. Domènech i Montaner). CC BY-SA 3.0, Paul Hermans

Zudem entstand Domènech Estapás eigenes Mietwohnhaus in einer funktionalistischen Art, die man auch unter ästhetischen Gesichtspunkten dem Modernisme zuschreiben muß. (Abb. 11) Die materielle und konstruktive Eigenschaft des Ziegelsteins dient der äußeren Erscheinung ebenso wie seine Farbigkeit, die mit anderen Materialien in Kontrast gesetzt wurde, ergänzt durch das arabische Trencádis-Mosaik aus glasierten Keramikscherben. Paradoxerweise entstand dieses Gebäude erst 1908-09, das heißt zu Beginn der noucentistischen Ära Kataloniens (vgl. weiter unten). Betrachtet man schließlich den Turm der Gaswerke (1906) (Abb.12), so scheint sich tatsächlich zu bewahrheiten, daß Josep Domènech Estapás überwiegend antimodernistische bzw. antinaturalistische (im übrigen gezielt gegen Antoni Gaudís Interpretation gerichtete) Architekturauffassung allein Folge einer rigorosen Differenzierung nach Bauaufgaben war - bedingt durch den staatlichen Auftraggeber.

 Casa Domènech Estapá, 1908-09, Barcelona  Turm der Gaswerke, 1906, Barcelona 11 – Josep Domènech Estapá, Casa Domènech Estapá, 1908-09, Detail, Barcelona. Pere López, CC BY-SA 3.0 Unported 2011 / 12 - Domènech Estapá, Turm der Gaswerke, 1906, Barcelona. Josep M. Montaner, Barcelona, Köln 1992

In diesem Sinne weitaus strenger an der akademischen Beaux-Arts-Architektur orientierte öffentliche Bauten in Barcelona sind das Neue Zollhaus (1896-1902) von Enric Sagnier mit einer traditionellen klassischen Fassadenkomposition (Abb. 13) und der ehemalige Nordbahnhof (1910-1915) von Demitri Ribes.(19)

 Neues Zollhaus, 1896-1902, Barcelona 13 - Enric Sagnier, Neues Zollhaus, 1896-1902, Barcelona. Enfo, CC BY-SA 3.0 Unported

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Demgegenüber stellt der katalanische Musikpalast (1905-08) von Lluís Domènech i Montaner ein Beispiel monumentaler Baukunst in Katalonien dar, das trotz seiner öffentlichen Funktion zum Inbegriff modernistischer Architektur(20) avancieren konnte, weil es in Händen einer privaten Trägerschaft lag. Dem Bau des Palau de la Música Catalana war in nationalistischer Euphorie 1891 die Gründung des katalanischen Chors und Musikvereins Orféo Catalán vorausgegangen, der von Anbeginn das bodenständige katalanische Volkslied neben einem progressiven internationalen Repertoire pflegte. Im Jahre 1904 erteilte der Orféo Catalán den Auftrag für ein eigenes Konzerthaus, das man sich, ganz im Sinne des Modernisme, als katalanisches Gesamtkunstwerk vorstellte. Es sollte das nationale Selbstverständnis der Bevölkerung sowohl durch seine gesellschaftliche Funktion als auch durch sein dekoratives Programm zum Ausdruck bringen. Entscheidend für die Realisierung dieser Zielsetzung war, daß der Musikpalast ohne städtische Unterstützung durch Anleihen beim Barceloniner Bürgertum finanziert werden konnte.(21)

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Das besondere an dem Gebäude ist seine konstruktive Neuheit, die es auch für die europäische Architekturgeschichte bedeutend macht. Es handelt sich um einen Stahlskelettbau mit Vorhangfassade - eine Tatsache, die sich angesichts der totalen Gestaltung nicht sogleich zu erkennen gibt. Im Inneren des Konzertsaales zeigt sich indes, daß die Wände vollkommen in Glas aufgelöst sind, die Träger der Deckenkonstruktion bleiben sichtbar und geben ein Rechteck für eine Glasüberdachung frei. (Abb. 14) Von außen gibt sich der Musikpalast, eingezwängt in die engen Gassen der Altstadt, als scheinbar massives Gebäude. (Abb. 15) Naturalistisch-ganzheitliche Kompositionsprinzipien, Handwerkstechniken, Materialien und überreicher Formenschatz mit musikgeschichtlichem Gehalt oder Bezügen zur regionalen Vergangenheit entsprechen der Idee und Vielfalt des Modernisme. Dazu gehören symbolträchtige Skulpturen und Mosaiken wie die des katalanischen Volksliedes. Gleichwohl ist die Botschaft dieses Bauwerk, wie sich anhand der internationalen Literatur nachvollziehen läßt, für den uneingeweihten Betrachter nicht zu erschließen. Das Gebäude wurde außerhalb Kataloniens vollständig ignoriert, bis 1958 Henry-Russell Hitchcock in ganzen zwei Sätzen die technische Fortschrittlichkeit hinter der reich verzierten Fassade würdigte.(22) Erst infolge der vermehrten Aufmerksamkeit für das seit Mitte der 80er Jahre sich zunehmend selbstbewußt nach außen darstellende Katalonien dringt das Gebäude merklich in das Bewußtsein ausländischer Architekturhistoriker ein.(23)

 Musikpalast, Konzertsaal, 1905-08, Barcelona  Musikpalast, Hauptfassade OG, Barcelona 14 - Domènech i Montaner, katalanischer Musikpalast, Konzertsaal, 1905-08, Barcelona. Thomas Ledl, CC BY-SA 4.0, 2018 / 15 - Domènech i Montaner, katalanischer Musikpalast, Ausschnitt Hauptfassade Obergeschoss, Barcelona. Turol Jones, CC Attribution 2.0 Generic

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Der Vorwurf des Provinzialismus, den konservative Kritiker nach der Jahrhundertwende gegenüber dem Modernisme äußerten, war insofern berechtigt, als die gängige akademische Unterscheidung zwischen Monumentalarchitektur und beispielsweise Wohnungsbau weitgehend noch allgemeinen Vorstellungen entsprach. Ein Bauwerk, das die akademischen Regeln mißachtete, war nicht architektonisch zu nennen; zwar hatte der Wohnungsbau mit dem Modernisme gegen Ende des 19. Jahrhunderts den Aufgabenbereich des Architekten erobert, gleichwohl konnte man mit ihm keinen "Staat" machen.(24) Der bewußte innovative Verstoß gegen die akademischen Regeln im katalanischen Wohnungsbau als der vorherrschenden Bauaufgabe verlor in dem Moment an Bedeutung für den katalanischen Nationalismus, als das Selbstbewußtsein derart gestärkt war, daß man es mit der europäischen Entwicklung aufnehmen wollte. Was der kulturellen Elite bis dahin verhaßt war, erhielt plötzlich Symbolkraft; denn anstatt nach Lösungen für den sozialen Unfrieden zu forschen, suchte man in der Wiederbelebung der griechischen Antike einen formalen Ausdruck demokratischer Ordnung, mit dem die sich verschärfenden Gesellschaftskonflikte kaschiert und zugleich eine "katalanische Renaissance" forciert werden sollte. Man nennt diese Strömung "noucentisme" - ein Begriff, der, wie im Fall des italienischen "novecento", den Aufbruch ins 20. Jahrhundert impliziert.

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Angesichts dieser inhaltlichen Veränderung in der katalanischen Nationalismusbewegung scheint sich zu bewahrheiten, daß es mit zunehmender Konsolidierung nicht mehr so sehr auf die Herausstellung der "ethnisch bedingten Andersartigkeit" gegenüber Kastilien wie auf die Demonstration von Ebenbürtigkeit auf internationaler Ebene ankam. Die neuklassizistische Wende im Gefolge des Noucentisme verursachte den zunehmenden Verlust nationaler Charakteristika in der katalanischen Architektur, so daß der vorgeschriebene monumentale Klassizismus während der Diktatur in den 20er Jahren in Katalonien weder bei der ökonomischen Elite noch bei den Architekten auf Widerstand stieß und im Architekturunterricht erneut akademisches Regelwerk vermittelt werden konnte. Gleichwohl lebte innerhalb der noucentistischen Bewegung eine marginale fortschrittliche Tendenz fort, die von der Typologie des barocken Landgehöfts, der Masía, ausging und dieses sowohl in der inneren Distribution als auch durch formale Reduktion an moderne Lebensgewohnheiten anpaßte.

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Gemeinhin gilt das Jahr 1906 als der Beginn der noucentistischen Bewegung, da ihr wichtigster Theoretiker, Eugeni d'Ors, unter Berufung auf die mediterrane Tradition in Altertum und Renaissance Form und Maß der Klassik propagierte und den Mythos eines neuen Athen in die Welt setzte. Wie Hina bestätigt, waren Modernisme und Noucentisme "nicht nur literarische - bzw. künstlerische - Tendenzen, sondern soziale Totalitäten, die das Verhältnis von Kultur und Gesellschaft betrafen. Dem politischen Nationalismus ging ein kultureller parallel, ja der politische wurde durch den kulturellen fundiert."(25) Hina gelang jedoch entgegen der einheimischen Rezeption, derzufolge beide Bewegungen voneinander zu trennen seien, der Nachweis, daß die kulturelle Utopie der Modernisten durch die Noucentisten lediglich weitergeführt wurde - "bezeichnenderweise klassizistisch verengt". Die stärkere Zielgerichtetheit der noucentistischen Projekte hing demnach damit zusammen, "daß die katalanische Großbourgeoisie ab 1906 in erhöhtem Maße auch die Kulturbewegung in den Griff zu bekommen versucht[e], wobei es ihr nicht nur um mehr Gehorsam auf seiten der Intellektuellen [ging], sondern auch um mehr Effizienz bei den kulturellen Gemeinschaftsaufgaben (Kodifizierung der Sprache, Schaffung von Kulturorganisationen usw.)."(26)

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Die sogenannten Monumentalbauten hatten in Barcelona schon bald nach der Jahrhundertwende an Bedeutung gewonnen, als nach weitreichender Festigung der katalanisch-nationalistischen Position die Pläne zum Aufbau eines kosmopolitischen Groß-Barcelona heranreiften - Pläne, die unter anderem im Jahr 1929 in Form einer Weltausstellung Wirklichkeit wurden. Die Ausführung des Projekts wurde nach fast dreißig Jahren zwar durch das Diktat der Militärregierung Primo de Riveras erheblich beeinträchtigt, jedoch vorher schon entscheidend von den Vorstellungen des konservativen Bürgertums in Katalonien geprägt.(27) Danach liegt hier der klare Fall einer Metropolenbildung im Sinne nationaler Selbstbehauptung vor, und es bestätigt sich fernerhin, daß die Bauten für die internationale Ausstellung in ihrer ersten Planung mehr transportierten als nur die Zeichen der Abgrenzung von der kastilisch-spanischen Kultur, da sie zu vergleichbaren internationalen Projekten in Konkurrenz treten wollten.

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Anlaß und Ausgangspunkt der Unternehmung war der Rasterplan der Stadterweiterung aus dem 19. Jahrhundert, der seinerzeit von der Madrider Instanz entgegen dem Wettbewerbsentscheid des Barceloniner Gremiums durchgesetzt worden und der bürgerlichen Öffentlichkeit wegen seiner gleichförmigen Systematik nach wie vor ein Dorn im Auge war. Folglich ging es zu Beginn des 20. Jahrhunderts darum, die egalitäre Schachbrettstruktur zu "korrigieren" und einen hierarchischen, möglichst konzentrischen Stadtgrundriß mit Radialen herauszuarbeiten. Aus einem internationalen städtebaulichen Wettbewerb mit dieser Zielsetzung ging 1905 der Franzose Léon Jaussely, Absolvent der Ecole des Beaux-Arts und Träger des Grand Prix de Rome 1903, als Gewinner hervor. Sein traditioneller Vorschlag beinhaltete die nach bürgerlichen Gesichtspunkten entwickelte Anbindung der isolierten Randbezirke mit dem Stadterweiterungsgebiet (Plan Cerdà 1859) mittels eines neuen, das "Chaos" legalisierenden Systems von Straßen, Plätzen und Parkanlagen. (Abb. 16+17) Dieses System, das laufende Entwicklungsprozesse einbezog, bewegte sich innerhalb ästhetischer Prinzipien, denen zufolge die Stadt als ein fertiges, auf allen Seiten eingegrenztes, statisches Objekt verstanden wurde, und spiegelte die Vorstellung vom geschlossenen Organismus wider.

 Plan Cerdà, Barcelona, 1859  Plan Jaussely, Barcelona, 1905 16 - Plan Cerdà, Stadterweiterung für Barcelona, 1859. Institut Municipal d'Història, Barcelona / 17 - Plan Jaussely, Neuordnung Barcelonas, 1905. Institut Municipal d'Història, Barcelona

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Obwohl das Projekt Jausselys nicht zur Ausführung kam, förderte der Zentralisierungsgedanke im Widerspruch zur flexiblen Stadterweiterung eine sich lange abzeichnende, anarchische Bebauung in den entfernten Randzonen. Zentral gelegene, privilegierte Wohnbezirke blieben allein dem Bürgertum vorbehalten und sollten - mit den Worten Camillo Sittes - "im Sonntagskleide" der Stadt den Glanz einer repräsentativen Metropole, eines "Paris des Mittag" verleihen. Das von Haussmann neustrukturierte Paris nahm man damals in zahlreichen bürgerlichen Städten zum Vorbild, beispielsweise in dem ebenfalls von einem Orthogonalraster stigmatisierten Chicago nach dem Plan von Daniel H. Burnham, der 1909 veröffentlicht wurde. Mit der Erwähnung dieser nordamerikanischen Metropole muß zugleich darauf hingewiesen werden, daß die demokratische Struktur der Vereinigten Staaten, insbesondere unter Berufung auf das kapitalistische Wirtschaftssystem und die technische Rationalisierung, in Barcelonas Führungskreisen nahezu uneingeschränkte Bewunderung fand. Die Orientierung an amerikanischen Errungenschaften erlebte nach dem Ende des Ersten Weltkrieges ihren Höhepunkt.

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Aus Jausselys Planungsvorschlag für Barcelona erwuchs die Idee der internationalen Ausstellung. Der Architekt und Politiker Josep Puig i Cadafalch propagierte sie in seinen Wahlreden im Jahr 1905 als Vision vom Eintritt Groß-Barcelonas in den Weltmarkt.(28) Als Standort befürwortete er die am Rande der Stadterweiterung gelegene Plaça de les Glóries Catalanes, die von Jaussely in ihrer Bedeutung als Schnittpunkt der großen Verkehrsachsen herausgearbeitet worden war. Puig i Cadafalch erkannte hierin die Chance für groß angelegte urbanistische Eingriffe zur Schaffung eines neuen Stadtzentrums. Alsdann wurde vom Internationalen Ausstellungskommitee ein Veranstaltungstermin für das Jahr 1915 festgelegt, der, wegen des Kriegsausbruchs zweimal verlegt, zuletzt auf das Jahr 1929 fiel.(29)

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Die ursprüngliche Planung von Josep Puig i Cadafalch (1867-1956) ist insofern von besonderem Interesse, als sie eines der wenigen Beispiele dafür bildet, wie nationalspezifische Monumentalbauten in Katalonien hätten aussehen können, wären sie nicht durch den offiziellen akademischen Baustil verdrängt worden. Der Architekt, dem internationalen Fachpublikum vor allem als Kunsthistoriker bekannt, muß angesichts seiner profunden historischen Forschungen neben Antoni Gaudí i Cornet (1852-1926) und Lluís Domènech i Montaner als Schlüsselfigur der katalanischen Nationalismusbewegung in der Architektur gelten. Gemeinsam mit dem Franzosen Jean Auguste Brutail und dem Amerikaner Arthur Kingsley Porter zählt er zu den Begründern der Teildisziplin Kunstgeographie. Sein lebenslanger Forschungsgegenstand war die mittelalterliche Architektur Kataloniens, deren Wege und Wandlungen er bis in den Vorderen Orient verfolgte, um immer wieder bestätigt zu finden, daß der Charakter eines Volkes unauslöschlich in die Baukunst einfließe und nur äußerlich von vorübergehenden Modeerscheinungen verschleiert werde. Daß hier unter anderen typischen Einflüssen des 19. Jahrhunderts hinsichtlich der Nationalidee die Milieutheorie Hippolyte Taines eine Rolle gespielt hatte, sei lediglich erwähnt.(30) Tatsächlich war Puig i Cadafalchs architektonische Praxis dermaßen von der katalanischen Idee und ihrer Entsprechung in der Kunstgeographie durchdrungen, daß er nach ersten erfolgreichen Jahren während der Blütezeit des Modernisme den repräsentativen Belangen der sich nach außen kosmopolitisch gebenden, nach innen aber zunehmend unbeweglicher werdenden katalanischen Gesellschaft nicht mehr gerecht werden konnte - obschon er einen scheinbar klassizistischen Weg einschlug. Der Vergleich seines Wettbewerbsbeitrages aus dem Jahr 1914 für die neue Hauptpost an der Plaça d'Antoni López und der Vía Laietana in Barcelona mit dem Gewinnerentwurf von Josep Goday und Jaume Torres macht die Entwicklung von den "naturalistischen" zu den akademischen "nationalen" Formen in der Baukunst anschaulich. (Abb. 18+19)

 Puig i Cadafalch, Wettbewerbsprojekt Hauptpost, 1914  Josep Goday, Wettbewerbsprojekt Hauptpost, 1914 18 - Puig i Cadafalch, Wettbewerbsprojekt für die Hauptpost, 1914. Nachlass Puig i Cadafalch, Barcelona / 19 - Josep Goday und Jaume Torres, Wettbewerbsprojekt für die Hauptpost, 1914, Ausführung 1927, Barcelona. Archiv der Autorin

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Die Sieger hatten mit ihrem Vorschlag eindeutig auf akademische Grundprinzipien und den klassizistischen Formenschatz zurückgegriffen und damit den Zeitgeist des Noucentisme getroffen. Er wurde unverändert im Jahr 1927 ausgeführt. Puig i Cadafalchs Beitrag hingegen war ein eher liberaler, in der Sachlichkeit seiner späten Einfamilienhäuser verfaßter Entwurf, dessen Neuheit in der Bauaufgabe begründet ist, da es sich um ein öffentliches und staatliches Bauwerk handelt.(31)

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Die Mischung aus funktionaler Sachlichkeit, regionalem Traditionalismus und klassizistischem Historismus spiegelt zum einen die Bedingungen des Wettbewerbs, die auf eine repräsentative architektonische und städtebauliche Lösung zielten. Zum anderen veranschaulicht der Vorschlag Puig i Cadafalchs, wie sehr der Architekt auf eine unmißverständliche Symbolik und konventionelle Schemata für öffentliche Funktionen angewiesen war. Die formale Umwandlung architektonischer Kompositionselemente nahm er zugunsten reiner Stilzitate nicht vor. Das Resultat scheint indes nicht einen historischen Moment zu reflektieren, sondern den inneren Zustand des Architekten, dessen Schaffen sich im Zwiespalt zwischen Innovation und Konvention befand. Hinzu kommt, daß Puig i Cadafalchs vergleichweise liberale Haltung in seinen Entwürfen auf wenig Gegenliebe stieß, weil eine generelle Bereitschaft zur "Rückkehr zur Ordnung" bereits latent vorhanden war. Doch Puig i Cadafalch lehnte den klassischen Formenschatz aus architekturtheoretischen Gründen dezidiert ab. Daß er in seinem Spätwerk dennoch auf ihn zurückgriff, läßt sich allein durch die politsche Notwendigkeit erklären, Katalonien mittels international sanktionierter Architekturformen als gleichwertige Nation herausstellen zu müssen.(32) Die verzögerte Ausführung des streng neuklassizistischen Projektes für das Postgebäude von Goday und Torres im Jahr 1927 erfolgte in Übereinstimmung mit dem damaligen Zustand von Politik und Gesellschaft in Spanien.

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Die Eingangsfassade des von Puig i Cadafalch vorgelegten Entwurfs für die Hauptpost stellt sich dreigeschossig, mit zurückversetztem Attikageschoß, flankierenden Rundtürmen und fünfteiliger Säulenvorhalle über einem frontalen Treppenaufgang dar. Wesentliches Gliederungselement ist ein beide Obergeschosse umfassender Mittelrisalit, dem vier Kolossalsäulen mit verkröpftem Gebälk vorgeblendet sind. Ein eminentes Wappen bildet den krönenden Abschluß der Fassade. Doch der hierarchische Aufbau wird noch durch ein Türmchen gesteigert, das sich in Erinnerung an die Glockentürme des valencianischen Barock über der Terrasse des Attikageschosses erhebt und als Basis eines offenen Rundtempels dient.

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Der stark gegliederte axiale und spiegelsymmetrische Fassadenaufbau verleiht dem Postgebäude Monumentalität. Eine Betrachtung des ausgeführten Projektes von Goday und Torres verdeutlicht jedoch, wie sehr Puig i Cadafalch vom Monumentalismus der offiziellen, vor allem während der Diktatur in den 20er Jahren geförderten Architektur entfernt war und somit auch von einer Ideologie, die in der Folgezeit die einschüchternde Gewichtigkeit des Neuklassizismus für den europäischen Faschismus auszunutzen vermochte. Der Entwurf Puig i Cadafalchs zeigt ein nach außen sich öffnendes Gebäude, das danach verlangt, betreten zu werden. Es ist entgegen der "demokratischen Monotonie" - insbesondere, was die ausgedehnten Seitenansichten anbetrifft - zwar in Fragmente unterteilt, die glatt belassenen, stark und regelmäßig durchbrochenen Wandflächen verbergen aber nicht das Bemühen um sachliche Gelassenheit. Auf menschliche Maße abgestimmt und mit folkloristischen Details versehen, wäre das Bauwerk in einem ostentativ machtpolitischen Zusammenhang undenkbar. Denn ungeachtet der monumentalisierenden Eingangsanlage liegt dem Gebäude die herrschaftliche Masía (Landgehöft) als Vorbild zugrunde. Sie ist der neuen Funktion angepaßt, doch traditionell in der Komposition und voller Anspielungen auf das katalanische Architekturerbe.

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Vor allem an der Seitenfassade der Vía Laietana ist die erhaltene Vorliebe für geschlossene Kompositionen ablesbar, die zu avantgardistischen oder modernen Tendenzen gänzlich im Widerspruch steht. Auf der glatt verputzten Mauerfläche bildet zu beiden Seiten eines Mittelrisalits jeweils ein elfteiliges Fensterband aus schmalen Einzelelementen zwischen Rundpfeilern ohne Kapitell den unteren Abschluß. Im mittleren Geschoß dominiert die Fläche mit sechs hochformatigen Öffnungen. Die ehemalige Fensterarkade der katalanischen Spätgotik im obersten Geschoß wurde vereinfacht und gleichfalls als Fensterband zwischen Rundpfeilern auf durchgezogener Sohlbank ausgebildet. Ein vorkragendes Gebälk, das von der Dachkonstruktion der Masía abgeleitet ist, schließt die Fassade ab. Darüber werden die Terrasse des zurückversetzten Attikageschosses und das Flachdach jeweils von einer barocken Dockenbrüstung eingefaßt. Rein dekorativ ist die üppige Bemalung der Hauptgeschoßzone mit Girlanden und Schleifen zu verstehen. Der Mittelrisalit ruft mit zwei quadratischen Turmaufbauten trotz neuklassizistischer Ausführung sogleich die Wehrtürme befestigter Landhäuser in Erinnerung. Eine rigorose vertikale Fassadengliederung und der überreichliche, von nachfolgenden Bauten Puig i Cadafalchs her bekannte Barockschmuck des zentralen Seitenportals vermitteln jedoch weniger romantischen Lokalpatriotismus als den Eindruck konfuser Wohlstandssymbolik einer veränderten Gegenwart.

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Die Hauptfassade unterscheidet sich von den übrigen Ansichten vor allem durch ihre vorgestellte Eingangsanlage. Gleichwohl wirkt der fünfteilige Portikus mit einer Tiefe von einem Interkolumnium ungleich weniger monumental als das Portal des ausgeführten Baus von Goday und Torres mit nur vier Kolossalsäulen. Er präsentiert sich in der eleganten toskanischen Ordnung, die einer fünfteiligen Rundbogenarkade vorgeblendet ist, wobei die Girlandenbemalung des Architravs den Schmuck des wegfallenden Frieses ersetzt. Auffällig ist auch die ausgeprägte Verkröpfung des Gebälks, das zugleich als Brüstung des Söllers dient. Puig i Cadafalch verweist mit der stilistischen Anspielung unverhohlen auf das italienische 16. Jahrhundert im Zeichen von Michelangelo, Palladio oder Sansovino. Demgegenüber scheint er sich für den Risalitteil der Obergeschosse und den Turmaufbau am valencianischen Barock des 17. Jahrhunderts inspiriert zu haben.

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Die runden Ecktürme - vermutlich vier an der Zahl - sind identisch gestaltet und knüpfen mit barocker Fensterrahmung im Hauptgeschoß an die plateresk geschmückten Türme der Häuser Serra (1902-07) und Terradas (1903-06) an; in ihren freien Abschnitten weisen sie scharfkantige Mauerschlitze und als Bekrönung ein kompliziertes dreistufiges Eisengerüst auf quadratischem Grund auf. Die provokante Hervorhebung dieses Materials in rein dekorativer Funktion offenbart - eingedenk der Fabriktürme Casarramona (1909-11) - ein anachronistisches Festhalten an modernistisch gotisierenden Spielereien. Dies ist nur eines von vielen Indizien dafür, daß Puig i Cadafalch nicht mit dem antiakademischen Naturalismus gebrochen hatte, sondern auch die "eklektizistische" Lösung der Hauptpost als ein im historischen Zusammenhang stehendes Resultat betrachtete.

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Puig i Cadafalch schuf mit dem Entwurf für die Hauptpost trotz stilistischer, vornehmlich auf Symbolik beruhender Anspielungen wiederum ein identifizierbares und überaus persönliches Werk, das sich jeder allgemeingültigen Klassifikation entzieht und somit eine Fortsetzung der subjektiven Architektur des 19. Jahrhunderts darstellt. Der Gedanke von der Evolution der Formen kommt in der eigenwilligen Kombination von Stilzitat und formaler Reduktion zum Ausdruck, wodurch ein neuer, historisch unbelasteter Zusammenhang hergestellt und eine neue Bedeutung veranschaulicht wird. Allein dank dieses Verfahrens vermag sich das nationale Element in dem Entwurf des Hauptpostgebäudes von Puig i Cadafalch zu behaupten. Ein sich anbietender internationaler Vergleich mit dem damals im zweiten Bauabschnitt fertiggestellten Wiener Postsparkassenamt von Otto Wagner macht - ungeachtet der unterschiedlichen Ausmaße und städtebaulichen Situation - nicht zuletzt aus diesem Grunde wenig Sinn. Die Gegenüberstellung mit einem zweiten Bauwerk Wagners veranschaulicht jedoch aus einem anderen Blickwinkel die Grundsätze und Intentionen des Katalanen.

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Die Lupusheilstätte (1910-13) weist in ihrem Fassadenaufbau nahezu die gleichen Merkmale auf wie der Entwurf für das Hauptpostgebäude von Puig i Cadafalch aus dem Jahre 1914: einen zentralen Eingangsvorbau, der als Balkon abschließt, darüber eine zweigeschossige Wandgliederung mittels vierer Pilaster, ein kräftiges Hauptgesims und ein Attikageschoß mit erhöhtem Mittelteil. Gerade dadurch, daß Wagner die tradierte Fassadenkomposition stark vereinfachte, kommt in der Gegenüberstellung die eigenständige Leistung Puig i Cadafalchs auf der Basis historischer Vorbilder zum Ausdruck. Während Wagner nämlich durch völlige "Entblößung" traditioneller Formen ein allgemeingültiges, puristisches Resultat erhielt, gelangte Puig i Cadafalch durch Umformung zu einem subjektiven, regionalistischen Ergebnis. Sein Umgang mit der Vergangenheit ist ein vollkommen anderer, der aber in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Ort seines Schaffens steht. Auf diese Weise offenbart auch die Verwandlung des traditionell geneigten Dachs in ein gestuftes Flachdach einen utilitären Hintergrund. Das zurückversetzte Attikageschoß mit Dachterrasse ist eine dem mediterranen Klima angemessene, komfortable Lösung für die Großstadtbebauung, die Puig i Cadafalch in der Folgezeit sinnvollerweise auf Stadtwohnungen übertrug. Erst Jahre später wurde derselbe Gedanke von seinen katalanischen Kollegen für die traditionelle Flachdachbebauung in Barcelona aufgegriffen.

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Puig i Cadafalchs 1915 vorgestelltes Gesamtkonzept für das Weltausstellungsgelände, das man zwischenzeitlich an den Nordhang des Montjuïc im entgegengesetzten Randbereich der Stadterweiterung verlegt hatte, sah als einziges Projekt eine städtebauliche Integration vermittels einer Zentralachse vor, die das Gelände mit dem zu schaffenden neuen Stadtzentrum um die damals noch nicht ausgebaute Plaça Espanya verbinden sollte. (Abb. 20)

 Puig i Cadafalch, Gesamtplan Expo 1917/1929 Barcelona 20 - Puig i Cadafalch, Gesamtplan für das Ausstellungsgelände 1917, 1915. Ignasi de Solà-Morales, Eclecticismo y vanguardia, Barcelona 1980

Auf der Grundlage des Vorschlages von Puig i Cadafalch übertrug die Stadt die Ausführungsplanung 1916 auf verschiedene Architekten, darunter Puig i Cadafalch, dem durch Ratsbeschluß am 24.12.1923 alle Aufträge nachträglich aberkannt wurden. Am selben Tag war Puig i Cadafalch von seinem Amt des katalanischen Präsidenten zurückgetreten, nachdem er die politischen Ziele des militärischen Machthabers in Spanien als antikatalanisch hatte erkennen müssen.

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Die axialsymmetrische städtebauliche Gesamtkonzeption für das Ausstellungsgelände behielt man bei, doch die Ausführung der Einzelprojekte durch verschiedene Architekten führte zu einem überaus heterogenen Erscheinungsbild. (Abb. 21) Allein die Plaça Espanya stellt mit geschwungenen Kolonnaden eine oberflächliche Annäherung an den Petersplatz dar, bereichert um zwei venezianische Campanili und einen "neobarocken, allegorisch überfrachteten Brunnen". "Realisiert wurde 1929 unter grundlegend veränderten politischen Vorzeichen eine Schau, die gänzlich anderen Motivationen entsprach als ursprünglich geplant. Signifikantestes Zeichen dieses Konzeptionswandels ist die Eliminierung der vier 'katalanischen' Säulen, die unter der Diktatur Primo de Riveras als Provokation erschienen. Die ausgeführte Konzeption ist - von Mies van der Rohes wie ein Fremdkörper wirkenden Pavillon abgesehen - von großsprecherischer Monumentalität, bar jeder Innovation und von fragwürdiger Qualität".(33)

 Barcelona, Weltausstellung 1929 21 - Barcelona, Weltausstellungsgelände 1929. Historische Postkarte

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Demgegenüber stellen sich die formalen Lösungen Puig i Cadafalchs als leichtes, unakademisches Zusammenspiel klassischer Elemente insbesondere spanischer Herkunft dar. (Die Tatsache, daß Puigs Entwürfe mit der Begründung abgelehnt wurden, sie würden nicht ausreichend spanische Elemente verarbeiten,(34) deutet darauf hin, daß die akademisch-eklektizistische Einbringung spanischer Elemente in den ausgeführten Entwürfen allgemeinverständlicher war; mit anderen Worten: Puigs antiakademische Haltung, die man in diesem Kontext als die fortschrittlichere bezeichnen muß, stieß wegen fehlender Eindeutigkeit auf Widerstand bei den Machthabern.) Krönung des Entwurfs war der Palast für Antike Kunst am Ende der über mehrere Ebenen ansteigenden Zentralachse, ein Kuppelbau, flankiert von der Sevillaner Giralda an allen vier Eckpunkten. Die Kuppel war als konstruktiver Superlativ gedacht, als zukunftsweisende Weiterentwicklung der Betontechniken, die man für die Jahrhunderthalle in Breslau von Max Berg aus den Jahren 1911/12 angewandt hatte.(35)

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Die mittelmäßige Qualität des Gesamtentwurfs und seiner Architektur soll hier nicht im einzelnen beleuchtet werden. Gleichwohl ist im Zusammenhang mit dem nationalen Element in der Architektur hervorzuheben, daß Puig i Cadafalch im Sinne des Noucentisme auf das klassische Formenrepertoire in unbekümmerter Weise zwar zurückgriff, akademische Entwurfsprinzipien aber außerhalb jedweder Abhängigkeiten konterkarierte.(36) Er verharrte damit bei der anfänglichen Strategie katalanischer Architekten, nämlich gegen Madrid durch Antiakademismus zu rebellieren, was sich anhand der beiden ausgeführten Ausstellungspaläste darlegen läßt.(37) Beide Gebäude sind von beträchtlichen Dimensionen und empfangen gemäß der Vorstellung Puig i Cadafalchs dank ihrer verschachtelten räumlichen Disposition am hinteren Ende der Zentralachse den von der Stadt aufsteigenden Besucher in einer Art Umarmung auf einem großzügigen Platz. Von dort führt der Weg über eine mehrteilige steile Treppenanlage zu dem von Pedro Cendoya Oscoz und Enric Catà 1926-29 entworfenen Nationalpalast (heute Museu d'Art de Catalunya) weiter, der an Stelle des ursprünglichen Kuppelbaus errichtet wurde.

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Wenngleich dieserart Axialität, Symmetrie und die Orientierung auf den erhabenen Hauptpalast in der Ausführung erhalten blieben - wobei die Berücksichtigung topographischer Gegebenheiten sowie großzügige Querbeziehungen die Zielrichtung bewußt in Vergessenheit geraten lassen -, erweist sich der Entwurf Puig i Cadafalchs dennoch als der überlegene. Im letzteren ist das Gelände als Einheit oder durchmodelliertes räumliches Kontinuum lediglich am Ende eines Wahrnehmungsprozesses visuell erfaßbar, dann nämlich, wenn man nach mehrfachem Verweilen am Fuße des Kuppelbaus angekommen ist und vom Blick zurück überwältigt wird. Denn wie in den divisiv begriffenen Innenräumen seiner Wohnhausarchitektur hat Puig i Cadafalch weite Perspektiven zwar vorgezeichnet. Die bewegte Durchdringung von Raum und Körper in alle Richtungen begründet aber auch hier - gänzlich antiklassisch - eine allmähliche, fließende und ganzheitliche Wahrnehmung, die allerdings eine homogene architektonische Lösung voraussetzt. Eine nahezu anekdotische Komponente dieser organischen Raumkonzeption bildeten vier freistehende Säulen auf halbem Weg an der Schwelle zum Platz, die als Symbol katalanischer Identität zunächst auch aufgestellt, angesichts ihres provokativen Charakters aber kurz vor Ausstellungseröffnung wieder beseitigt wurden. (Abb. 22) Mit ihnen übertrug Puig i Cadafalch die von ihm für die Wohnhausarchitektur entwickelte Raumkonzeption, in der Bogenstellungen als diaphane Raumbegrenzungen fungieren, auf den städtischen Raum.

 Puig i Cadafalch, Entwurf Expo 1929 Barcelona 22 - Puig i Cadafalch, perspektivische Ansicht des Ausstellungsgeländes. Nachlass Puig i Cadafalch, Barcelona

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Die Bedeutung der beiden ausgeführten Paläste besteht nach Auffassung von Solà-Morales darin, daß Puig i Cadafalch sich "auf kühne und kreative Weise in das Zentrum des Konflikts" begeben hatte, eines Konflikts, der nicht stilistischer Natur gewesen sei, sondern darin gelegen habe, zum einen "die Mittel der akademischen Architektur zu nutzen und sich zugleich dem Thema des Gebäudeinhalts sowie der technologischen Bedingungen, die der Bau selbst auferlegt, zu stellen".(38) Puig i Cadafalchs Intention sei hierbei offenkundig: Er habe ein fortlaufendes Maschennetz herstellen wollen, das in einem homogenen Raster aus struktuellen Elementen bestehe. Mit Hilfe eines Sheddachs für den Palast Alfons XIII. und eines quadratischen Stahlbetonrasters mit Oberlichtern für den Palast Victoria Eugenia habe Puig i Cadafalch zwei Lösungen für die unhierarchische Herausstellung des Innenraums gefunden. Der unbekümmerte Gebrauch des klassischen Repertoires in Annäherung an spanische Vorbilder manifestiere sich außerhalb jedweder Abhängigkeiten vom akademischen Kompositionssystem.(39) Solà-Morales bezeichnet das Endergebnis als einen komplexen strategischen Eingriff, der jenseits von Polaritäten und Querelen zwischen "anciens et moderns" die Widersprüche der damaligen Architekturgegenwart nachdrücklich durchdrungen habe: Es handele sich insofern um eine außergewöhnlich interessante Architektur, als sie sich in der Lage zeige, gleichzeitig Mittel und Instrumente der akademischen Kompositionstradition auszunutzen und die kompositiven Grenzen, die das symmetrische System des Akademismus auferlege, zu überschreiten.

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Formal und stilistisch haben die Ausstellungsbauten während einer langjährigen Entwurfszeit einschneidende Veränderungen erfahren. Von der Außenbegrenzung in Form von Kolonnaden blieb zum Schluß die eminente, undurchbrochene ockerfarbene Mauerfläche. (Abb. 23) Sie schließt mit einem Kranzgesims korinthischer Ordnung ab, deren Stützen auf eine ironisierende Sgraffitowiedergabe von gedrehten Säulen reduziert wurden. (Abb. 24) Anzahl und Abstand der "Säulen" korrespondieren in keiner Weise mit dem konstruktiven Raster. Indessen finden sie sich als plastisch ausgearbeitete Stützen für die aufwendige Portalrahmung wieder, wo sie mit einem eher bescheidenen popularistischen Eingangsvorbau konfrontiert werden. Weitere Akzente setzen die Tempelaufbauten im valencianischen Neubarock an allen Gebäudeecken. Die räumliche Disposition und die zusätzliche Niveauverschiebung lösen beide Gebäude nachdrücklich und überzeugend aus ihrer statischen Kompaktheit; die bagatellisierte Monumentalität negiert einen machtsymbolischen Anspruch. Selbst wenn die Ausstellungspaläste ein konventionelles symmetrisches Ensemble um die Zentralachse definieren und obendrein den Platz räumlich verengen, geben sie sich als neuklassizistisch geklärte Nutzbauten zu erkennen, bereichert um die für Ort und Anlaß erforderlichen Accessoires der Repräsentation.

 Ausstellungspalast Alfonso XII, 1923, Barcelona  Ausstellungspalast Alfonso XII, Fassadendetail mit Sgraffito 23 - Puig i Cadafalch, Ausstellungspalast Alfonso XII, 1923. Historische Postkarte / 24 - Puig i Cadafalch, Ausstellungspalast Alfonso XII, 1923, Fassadendetail mit Sgraffito, Barcelona. Archiv der Autorin

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Die über fünfzig Jahre währende Blütezeit des katalanischen Nationalismus endete nicht erst mit Beginn des Franco-Regimes, sondern bereits mit dem Internationalismus der Linken während der Zweiten Spanischen Republik in den 30er Jahren. Gleichwohl ist es für die Beurteilung der nationalen Baukunst in Katalonien angebracht, zwischen einem authentischen Nationalismus und einem vorgeschobenen Nationalismus zu unterscheiden. Letzterer reflektiert zwar die realen Machtverhältnisse, nicht aber ein architektonisches Anliegen. Dieses architektonische Anliegen war in erster Linie auf die Befreiung von der Akademie und die Überwindung des Dualismus zwischen Architekt und Bauingenieur gerichtet. Erst an zweiter Stelle stand das Interesse für nationalspezifische Vergangenheitsbezüge, mit deren Hilfe man die architektonische Erneuerung einleiten wollte. Die in der modernistischen Architektur sich manifestierende Abgrenzung von der Zentralmacht Spanien unterstrich hierbei den Progressismus der Katalanen. Bedeutende Persönlichkeiten wie Gaudí i Cornet, Domènech i Montaner und Puig i Cadafalch blieben dieser ersten Strategie treu, weil sie als Nationalisten militant, als Architekten experimentierfreudig waren. Sie entwarfen selbst dann noch "spezifisch katalanische" Architektur, als diese längst nicht mehr für "zeitgemäß" befunden wurde, weil ihre Bauherrn an architektonischen Fragen kein Interesse hatten. Die auf die Architektur übertragene Nationalismusbewegung hatte dem herrschenden Industriebürgertum in Katalonien lediglich als Vorwand gedient, um sich gegen die aristokratisch geprägte Gesellschaft Kastiliens künstlerisch abgrenzen zu können. Nachdem es sich der politischen und sozialen Anerkennung auf gesamtspanischer Ebene versichert hatte, galt seine Hinwendung zur universellen akademischen Architektur dem neuen Ziel, Ebenbürtigkeit auf internationaler Ebene zu demonstrieren. Damit scheint sich zu bewahrheiten, daß es für das Selbstverständnis einer bereits gestärkten Nation keiner identitätsstiftenden, nationalspezifischen Architektur mehr bedarf.

© Andrea Mesecke 1996

 

Anmerkungen:
1 - Vgl. u. a. Horst Hina: Kastilien und Katalonien in der Kulturdiskussion. 1714-1939, Tübingen 1978. ...zurück
2 - Vgl. Andrea Mesecke: Josep Puig i Cadafalch (1867-1956). Katalanisches Selbstverständnis und Internationalität in der Architektur, Frankfurt 1995, mit weiterführendem Literaturverzeichnis. ...zurück
3 - In diesem Zusammenhang sei ergänzend auf die Tagungsbeiträge über die Schaffung eines Nationalstils in der ungarischen Architektur von Ilona Sármány-Parsons sowie über die Macht der Symbole von Bedrich Loewenstein verwiesen. ...zurück
4 - Zur Vertiefung vgl. Walther L. Bernecker: Sozialgeschichte Spaniens im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt 1990; Salvador de Madariaga: Spanien. Land, Volk und Geschichte, 3. neubearb. u. erw. Aufl. München 1979; auch Hina, 1978, und Mesecke, 1995. ...zurück
5 - Noch 1931 standen zwei Millionen besitzlosen Landarbeitern etwa 50.000 Großgrundbesitzer gegenüber, die über die Hälfte des spanischen Bodens verfügten. Vgl. Patrik von zur Mühlen: Spanien war ihre Hoffnung. Die deutsche Linke im spanischen Bürgerkrieg 1936 bis 1939, Berlin/Bonn 1985, S. 18. ...zurück
6 - Vgl. Mesecke, 1995; vgl. auch die Ausführungen von Lars Olof Larsson: Nationalstil und Nationalismus in der Kunstgeschichte der zwanziger und dreißiger Jahre, in: Kategorien und Methoden der deutschen Kunstgeschichte 1900-1930, hrsg. v. Lorenz Dittmann, Stuttgart 1985, S. 169-184. ...zurück
7 - Vgl. Mesecke, 1995, S. 194ff. ...zurück
8 - Vgl. Congrès International des Architectes, Madrid 1906, S. 271. ...zurück
9 - Der öffentlich ausgetragene Streit um die Vollendung der gotischen Kathedrale in Barcelona während der 1880er und 1890er Jahre veranschaulicht, daß die Mehrheit der katalanischen Architekten nicht mit der zur Ausführung bestimmten archäologischen Lösung einverstanden waren, sondern den "wissenschaftlichen" und somit als fortschrittlich empfundenen Gegenentwurf im Sinne Viollet-le-Ducs favorisierten. Vgl. Mesecke, 1995, S. 80ff. ...zurück
10 - Zur Weltausstellung 1888 vgl. Barbara Borngässer Klein: Inszenierung einer Metropole, in: Barcelona. Tradition und Moderne, Marburg 1992, S. 91-96. ...zurück
11 - Zum Werk Vilasecas vgl. Rosemarie Bletter: El arquitecto Josep Vilaseca i Casanovas, Barcelona 1977. ...zurück
12 - Vgl. Borngässer Klein, S. 92. ...zurück
13 - Vgl. Ignasi de Solà-Morales: Architecture fin de siècle à Barcelone, Barcelona 1992, S. 229ff.; Josep Maria Montaner: Barcelona. Stadt und Architektur, Köln 1992, S. 40. ...zurück
14 - Vgl. Oriol Bohigas: Vida y obra de un arquitecto modernista, in: Cuadernos de Arquitectura 52-53 (1963) S. 67-89, hier S. 72; David Mackay: Modern architecture in Barcelona 1854-1939, New York 1989, S. 30; eine erste Überprüfung unternahmen Katrin Werner/Astrid Bähr: Das Café-Restaurant von Domènech i Montaner, in: Barcelona, Marburg 1992, S. 67-68; zum Gesamtkunstwerk bei Berlage und den katalanischen Modernisten vgl. auch Mesecke, 1995, S. 116-123. ...zurück
15 - Borngässer Klein, S. 92; vgl. auch Werner/Bähr, S. 68. ...zurück
16 - Vgl. Mesecke, 1995, S. 26-29 u. S. 110-112. ...zurück
17 - Vgl. ebda., 1995, S. 87ff. und Literaturhinweise. ...zurück
18 - Vgl. Solà-Morales, 1992, S. 132-136. Generell ist festzustellen, daß weder der Justizpalast noch andere vergleichbare akademische Bauwerke bisher systematisch untersucht wurden. ...zurück
19 - Vgl. Solà-Morales, 1992, S. 136f., S. 146-149. ...zurück
20 - Vgl. David Mackay: El Palau de la Música Catalana, in: Cuadernos de Arquitectura 52-53 (1963), S. 34-42. ...zurück
21 - Vgl. Martin Bröcker: Rationalismus und Poesie. Der Palau de la Música Catalana von Lluís Domènech i Montaner, in: Barcelona, Marburg 1992, S. 68-71, hier: S. 69. ...zurück
22 - Vgl. H.-R. Hitchcock: Architecture. Nineteenth and Twentieth Centuries (The Pelican History of Art, Bd. 15), 3. Aufl., Middlesex 1968, S. 305. ...zurück
23 - Das Gebäude wurde Ende der 80er Jahre sorgfältig restauriert und erweitert und wird nunmehr auch modernsten technischen Standards gerecht, nachdem es jahrzehntelang zum besonderen Ambiente gehörte, während des Konzerts durch die geöffneten Glasfenster Regen- oder auch Motorengeräusche wahrnehmen zu können. Zur Geschichte und Baubeschreibung vgl. u.a. Deutsche Bauzeitung 5 (1889), S. 10-19; Bröcker, 1992; Manfred Sack: Lluís Domènech i Montaner. Palau de la Música Catalana Barcelona, Stuttgart 1995. ...zurück
24 - Eine für diese Problematik repräsentative Diskussion fand beispielsweise 1893 in der Deutschen Bauzeitung statt; vgl. auch Andrea Mesecke/Thorsten Scheer: Das Kantdreieck. Josef Paul Kleihues, Berlin 1995, S. 33-34. ...zurück
25 - Hina, S. 248. ...zurück
26 - Ebda. ...zurück
27 - Vgl. Anke Wunderwald: Weltausstellung 1929 - Die politische Einflußnahme auf die Planungen, in: Barcelona, Marburg 1992, S. 96-99. ...zurück
28 - Vgl. J. Puig i Cadafalch: A votar per la Exposició Universal, in: La Veu de Catalunya, 11.11.1905, (dt. in: Katalanische Kunst des 20. Jahrhunderts. Katalog zur Ausstellung in der Staatlichen Kunsthalle Berlin, Berlin/Barcelona 1978, S. 90). ...zurück
29 - Zur Entstehungsgeschichte vgl. P. Bohigas Tarragó: L'Exposició International del Moble i Decoració d'Interiors de 1923, Barcelona 1930, S. 11ff, sowie Jordi Romeu: Josep Puig i Cadafalch. Obres i projectes des del 1911, Dissertation ETSA Barcelona 1989; zur architekturhistorischen Einschätzung vgl. Ignasi de Solà-Morales: Eclecticismo y vanguardia, Barcelona 1980, S. 90-112, und Barbara Borngässer Klein, S. 91-94. ...zurück
30 - Zum nationalen Element in der katalanischen Architektur vgl. Mesecke, 1995, mit ausführlichen Darlegungen der gesamtspanischen Situation im 19. und 20. Jahrhundert; vgl. auch Larsson, 1985. ...zurück
31 - Vgl. Mesecke: Josep Puig i Cadafalch. Die Hauptpost zu Barcelona, Bonn 1991 (unveröffentlicht). ...zurück
32 - Vgl. Mesecke, 1995, S. 256ff. ...zurück
33 - Borngässer Klein, S. 92. ...zurück
34 - Vgl. Wunderwald, S. 99. ...zurück
35 - Vgl. Juan Panyella Galtés: Los grandes elementos arquitectónicos. Cúpula del proyecto del Palacio de los Naciones de Exposición de Barcelona, in: El Constructor 9 (Juli 1924), S. 44-46. ...zurück
36 - Vgl. Andrea Mesecke: Josep Puig i Cadafalch. Die Weltausstellung 1929, Bonn 1991 (unveröffentlicht). ...zurück
37 - Es handelt sich um den Palast für Moderne Kunst, später nach dem Monarchen Alfons XIII. benannt, der vom Architekten selbst in seiner Eigenschaft als katalanischer Präsident gemeinsam mit General Primo de Rivera anläßlich einer Internationalen Möbelmesse bereits 1923 - am Tag des Militärputsches - eingeweiht wurde, sowie um den spiegelsymmetrischen Zwillingsbau für die Industrie, heute Palast Victoria Eugenia, der sich zum selben Zeitpunkt kurz vor der Fertigstellung befand. ...zurück
38 - Solà-Morales, 1980, S. 111. ...zurück
39 - Ebda., S. 112. ...zurück
 

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